Laudatio zur Preisverleihung des Katharina-von-Bora Preises an Brunhild Fischer
in der Schloßkirche Torgau, 4. Juni 2023
Sehr geehrte Frau Staatsministerin Meier,
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Simon
liebe Preisträgerinnen, liebe Brunhild, sehr geehrte Anwesende,
Im April dieses Jahres haben wir 500 Jahre Nonnenflucht im Kloster Nimbschen gefeiert und dabei insbesondere an Katharina von Bora gedacht – vielleicht auch weil sie so gut mit Zahlen und mit Geld umgehen konnte, viel besser als ihr späterer Ehemann Dr. Martin Luther. Die Geschichte der Namensgeberin des heute verliehenen Preises ist uns insbesondere im protestantischen Mitteldeutschland bekannt und vertraut.
Auch wenn sich nur eine Minderheit in unserer säkularisierten Gesellschaft noch dem evangelischen Glauben zugehörig fühlt, sind unsere historischen Wurzeln doch untrennbar mit Katharina von Bora und ihrem Ehemann Martin Luther verbunden.
Große Feste wie zum 500. Reformationsjubiläum 2017 oder auch dem 500. Jahrestag der Nonnenflucht bewegen viele Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen. Für Katharina von Bora und die Frauen ihrer Zeit waren Gewalt und Krieg - neben Seuchen und Existenzängsten - ständige reale Bedrohung.
Schon die eng begrenzte und fremdbestimmte Lebensperspektive eines Mädchens, die sich zwischen Heirat, Kloster oder Schutzlosigkeit bewegte, war teil einer strukturellen Gewalt, zu der die unmittelbar körperliche im Haus oder Kloster, aber auch im öffentlichen Raum noch hinzukam. Gewalt in der Familie und in der Ehe waren legitim, genau wie in den Klöstern.
Wir können wohl kaum ermessen, welchen Mut jene jungen Nonnen damals aufgebracht haben, die dem noch vagen Ruf der Reformation vertrauten und daraufhin ihre Flucht aus der kargen Geborgenheit ihrer Klöster ins Ungewisse wagten. Waren sie dort doch wenigstens grundsätzlich versorgt und genossen eine Bildung, die ihnen außerhalb der Klostermauern als Mädchen und Frau verwehrt war.
In der Freiheit angekommen, wollte sie niemand haben – selbst die eigene Familie lehnte sie meist ab. In der Hierarchie der damaligen Gesellschaft galt eine entlaufene Nonne weniger als Nichts – sie waren Frauen ohne Schutz, ohne Mitgift und damit quasi Freiwild. Ihre einzige gesellschaftliche Chance auf ein weltliches Leben war eine arrangierte Ehe, die sich allein an den Lebensumständen und Bedürfnissen des künftigen Ehemannes ausrichtete.
Aber diese mutigen, gebildeten und entschlossenen Frauen wollten mehr und trafen zum Teil auf heiratswillige Männer, die dem Geist der Reformation entsprechend Veränderungen gegenüber aufgeschlossener waren. So schufen sich die ehemaligen Nonnen Gestaltungsspielraum und Partnerschaft in den eng gesteckten ehelichen Grenzen. Das ermöglichte ihnen in Einzelfällen nach und nach - eine oft angefeindete - Außenwirksamkeit und Bekanntheit.
Solche Lebensumstände können wir uns heute nicht mehr vorstellen. Frauen verfügen in unserer Gesellschaft über Chancen auf Bildung, finanzielle Unabhängigkeit und ein Recht auf Gleichstellung - auch wenn es bis zur realen Gleichstellung noch ein anspruchsvoller Weg ist, wie der aktuelle Gender Pay Gap mit 18% Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen zeigt. Besonders hart trifft das Einelternfamilien, die zu dem noch steuerlich benachteiligt werden.
Nicht nur aus der eigenen Erfahrung als Alleinerziehende mit zwei Söhnen ist das für Brunhild Fischer eine der sozialen Fragen, für die sie sich als ehrenamtliche Geschäftsführerin des SHIA e.V. seit Jahrzehnten mit Selbstbestimmten Handlungsstrategien und Initiativen für Alleinerziehende unermüdlich und vehement öffentlich einsetzt, ob als Vertreterin in Gremien, bei Podiumsdiskussionen, Anhörungen im Sächsischen Landtag oder bilateralen Terminen mit Abgeordneten des Bundestages oder Landtages.
Dabei scheut sie sich nicht, Missstände klar zu benennen und für ihre Klientel auch unbequeme und manchmal provokative Fragen zu stellen.
Unbequem und provokativ waren Katharina von Bora und ihre Mitstreiterinnen schon aufgrund dessen, dass sie entlaufene Nonnen waren. Aber sie waren nicht geflohen, um einfach nur brave Eheweiber zu werden. Jedoch konnte auch Katharina von Bora ihre benachteiligte gesellschaftliche Stellung als Frau nicht loswerden, trotz aller wirtschaftlichen Erfolge zu Lebzeiten Luthers. Das ihr von Luther zugeschriebene Erbe und die Vormundschaft für ihre Kinder durfte sie nach damaligem Recht nicht antreten. Am Ende stirbt sie trotz ihrer Lebensleistung verarmt, elend und heimatlos.
Armut im Alter war eben auch vor 500 Jahren schon weiblich.
Schwer zu fassen ist, dass nach mehr als fünf Jahrhunderten noch immer mitten in unserer Gesellschaft strukturelle und häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder täglich und in allen Schichten verübt wird. Die erfassten Fallzahlen steigen, und in der Zeit der Pandemie hat sich die Lage noch weiter zugespitzt.
Im zähen Kampf gegen Gewalt an Frauen und Mädchen unterstützte Brunhild Fischer schon vor mehr als 15 Jahren als inspirierende Musikerin die öffentliche Fahnenaktion und Veranstaltung des Landesfrauenrates Sachsen zum Aktionstag am 25.November in Dresden. Wie ich mich gut erinnere, notfalls auch mit klammen Fingern an der Querflöte, dem kalten nassen Novemberwetter zum Trotz.
Seit 2009 gestaltet Brunhild Fischer mit großem Ideenreichtum das Friedensgebet in der Nikolaikirche am 25. November zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen.
Das Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche hat eine weit bekannte Tradition und wurde von ganz unterschiedlichen Bevölkerungskreisen zum Protest gegen die Diktatur und für eine friedliche Revolution genutzt.
Es war Brunhild Fischers Idee, diese populäre Plattform für die Aufklärung und Mobilisierung gegen Gewalt an Frauen und Mädchen wirkungsvoll einzusetzen. Seither ist Brunhild Fischer mit Leidenschaft: ehrenamtliche Initiatorin, Ideengeberin, Organisatorin, kreative Musikerin und Moderatorin – dieses Jahr nun zum 15. Mal. Immer wieder gelingt es ihr Künstlerinnen aller Sparten, interessante Rednerinnen und Mitwirkende zu dem ehrenamtlichen Team zu gewinnen.
Als freischaffende Künstlerin ist Brunhild Fischer engagiert als Mitglied, ehemalige Vorsitzende und Vorstandsfrau der GEDOK Mittelsachsen und als 2. stellvertretende Vorsitzende dieses Bundesverbandes des europaweit größten Künstlerinnennetzwerks aller Sparten.
Außerdem setzt sie sich mit ihrer Fachkenntnis gewerkschaftlich seit Jahrzehnten bei ver.di auf Landes- und Bundesebene unermüdlich für selbständige Künstlerinnen ein und ebenso in der Sächsischen Landesmedienanstalt.
So pflegt Brunhild Fischer sehr gute künstlerische und politische Kontakte und vernetzt immer wieder neu unterschiedliche schöpferische Potentiale zum Gelingen der Veranstaltungen und zum Erarbeiten von Perspektiven und Lösungsvorschlägen. Ziel ist es, den Zuschauenden Mitwirkungsmöglichkeiten und den Betroffenen Wege zu eröffnen.
Brunhild Fischer bewegt sich und andere, sie ist eine Macherin und eine Mutmacherin!
Wie Katharina von Siena schon im 14. Jahrhundert schlicht und treffend formulierte: „Nicht das Beginnen wird belohnt, sondern einzig und allein das Durchhalten.“
Ganz in diesem Sinne danke ich Dir, liebe Bruni, für alles, was Du leistest in seiner ganzen Vielfalt und Einzigartigkeit und wünsche Dir von Herzen, dass alle Energie und Kraft die Du gibst wieder zu Dir zurückfließt.
Die heutige Wertschätzung mit dem Katharina von Bora-Preis für Dich ist eine große Freude für uns alle und mit Sicherheit ein Energiequell für Deine Arbeit und das Projekt.
Meine herzliche Gratulation dazu.
Birgit Höppner-Böhme